Qualityland, Collage zum neuen Roman von Marc-Uwe Kling, Bild (c) Alexandra Wögerbauer-Flicker - kekinwien.at

Der neue Roman von Marc-Uwe Kling: Qualityland.

Die Zukunft, die du dir nicht wünschen willst – die du aber nicht verhindern kannst …

Von der Komfortzone ins neue Universum Qualityland

Wenn sich ein berühmter Autor mit einer sehr erfolgreichen Figur aus seiner Komfortzone heraus begibt und etwas völlig Neues kreiert, dann ist das zwar sehr innovativ, kann aber entweder total in die Hose gehen oder sehr gut werden.
Der neuen Roman Qualityland von Marc-Uwe Kling ist sowas von der Turbo, der ultimative, affengeile, neuartige, politische, dystopische Science-Fiction-Roman geworden. Er ist so gut, dass ich das Känguru, das ich geliebt habe, fast schon vergessen habe. (Anm.: Die Känguru-Chroniken, Das Känguru-Manifest, Die Känguru-Offenbarung; 2009, 2011, bzw. 2014 erschienen.) Für mich war es sogar der beste Roman von allen Büchern seit fünf Jahren. (Respektive das beste Hörbuch, denn Marc-Uwe Kling performen zu hören, sollte man sich nicht entgehen lassen.)

Es geht um Qualityland, ein fiktionales Land in einer relativ nahen Zukunft. Marc-Uwe Kling extrapoliert die technologischen, gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen, … Entwicklungen der Gegenwart im Zeitalter der Digitalisierung, Automatisierung, Vernetzung und des gläsernen Menschen, verzerrt sie und wendet sie, auf die Spitze getrieben, auf die nahe Zukunft an.

Drohnen liefern das gute Zeugs.

Die industrielle Fast-Food Ernährung wird mit FESATZU’s: 1/3 Fett, 1/3 Salz, 1/3 Zucker abgewickelt. Es gibt eine große Plattform genannt THE SHOP, die aus den zahlreichen Vergangenheits-Profildaten zukünftige Bedürfnisse automatisiert berechnet, extrapoliert und die jeweiligen Produkte unbestellt mit Drohnen zustellt. Die Medizin wird von Nanorobots und Sensoren bestimmt. Die Pharmafirma DASGUTEZEUGS misst mit Sensoren die medizinischen Bedürfnisse, stellt in Losgröße 1 die ultimative Tablette unaufgefordert her und lässt sie per Drohne liefern. Dass massig private DNA-Daten von der Firma gesetzwidrig abgegriffen werden, tut dem Höhenflug des Aktienkurses keinen Abbruch.
Das Geldsystem ist eine Weiterentwicklung von Bitcoin, und Facebook heißt jetzt EVERYBODY, weil everybody in Social Media sein muss. Niemand, okay fast niemand kann der Datensammelwut und der Digitalisierung entkommen. Die Menschen heißen im Familiennamen nach den Berufen ihrer Eltern, damit soziale Schichten so gut wie einzementiert sind. Das sind nur ein paar der wundervollen Ideen, die im Stakkato auf den Leser oder Hörer einprasseln. Ich habe mich nicht einmal eine Zehntelsekunde während des Werkes gelangweilt.

Peter Arbeitsloser, ein Antiheld?

Die Hauptfigur, Peter Arbeitsloser ist, wie sein Familienname schon sagt, ein echter Verlierer in diesem System. Er betreibt eine Schrottpresse. Sein virtuelles Profil weist ein ganz niedriges „Wichtigkeitslevel“ auf, was sowohl die Freundlichkeit der Transportsysteme, die Partnerwahl, einfach seine gesamten persönlichen, ökonomischen Möglichkeiten der Interaktion und des Lebens beschränkt.

Die Qual der Wahl

Ein wichtiges Thema im ganzen Werk ist der Wahlkampf, in dem Heinz Koch (ja, sein Vater war Koch) gegen den Androiden John-of-us von der Fortschrittspartei antritt. Was dann folgt, ist ein Lehrstück an politischer Satire. Denn der Android John-of-us argumentiert als Rechner basierend auf Logik, Wahrheit und Spieltheorie zum Wohle aller Menschen. Die Partei von Heinz Koch ist eine typische Politikerkaste – korrupt bis in die Knochen. Der Wahlkampf in Qualityland gleicht in vielem dem in Österreich:

„Seit wann haben die Nutzlosen schon jemals eine Regierung gewählt, die Ihre Interessen vertritt? Scheiß auf Argumente, es zählen nur Emotionen. Können wir diese sinnlose Diskussion über Inhalte jetzt endlich beenden?“

Obwohl der Android natürlich gegen das manipulierte Volk und gegen die korrupten, populistischen Demagogen der Gegenpartei eine denkbar schlechte Ausgangsposition hat, weiß er seine Vorzüge gut einzusetzen und gibt auch ein bisschen Hoffnung für die Zukunft. Wie ihr seht, bin ich vollends für den Androiden und nicht für die Menschen in diesem Wahlkampf, aber John-of-us steht einfach für eine ehrliche, sachlich basierte Politik.

Gesellschaftskritik abseits von Kalauern

Manche haben sich über Marc-Uwe Klings Hang zu Kalauern beschwert, aber dieser Humor ist für mich weitaus mehr als schenkelklopfender Witz, denn wenn man die zugrundeliegenden Theorien aus Wirtschaftsinformatik, Politik, Soziologie, VWL und Philosophie kennt und unterrichtet, ist es gleich zehnmal so witzig. Marc-Uwe Kling hat sie fast ALLE genial identifiziert, richtig zitiert, abmontiert, dann durch den „Qualityland-Wolf“ gedreht und dystopisch korrekt verwurstet: z. B. Adorno, Isaac Asimovs Roboter Gesetze, der Turing Test, der Gottesbegriff als allwissende Maschine = Omnius (Ist Gott wohlwollend, feindselig oder gleichgültig?), das Peter Prinzip wird zum Peter Problem und allgemein postuliert … um nur einige zu nennen.

Da sind wir schon bei der prinzipiellen Aussage: Das alte Peter Prinzip aus der Betriebswirtschaft wird also zum „Peter Problem“ transferiert, gegen das der Protagonist kämpft. Die virtuellen Profile und die darauf angewendeten Ontologien (Hier eigentlich fälschlich Algorithmus genannt – zwecks des perfekten Reimes: „Das ist der Algorithmus, wo jeder mit muss.“) sind falsch und kreieren eine self-fulfilling prophecy, also eine sich selbst erfüllende Prophezeiung bzw. ein bestimmtes, fremdbestimmte Leben ohne Wahlmöglichkeit und eigenen Willen. Mein erster Chef auf der Uni Linz hat sich übrigens schon 1981 mit dem Umstand, dass bei Metadaten falsche Schlüsse gezogen werden können, in seiner Habilitation beschäftigt. Dort heißt das Problem aber nicht so einfach Peter Problem, sondern Kontextverluste in betrieblichen Informationssystemen.

Subversiv, anarchisch, klug.

So kämpft der Verlierer Peter Arbeitsloser wie Don Quixote, besser gesagt wie Michael Kohlhaas gegen das System, aber wahrscheinlich sogar ein bisschen erfolgreicher als Kohlhaas, während im Land der gnadenlose Wahlkampf tobt, der die übelsten Intrigen und absurdesten Dinge an die Oberfläche der Wahrnehmung der Gesellschaft und der LeserInnen spült. Unterstützt wird er dabei von KIKI, einer Hackerin, die auch gleich für die Liebesgeschichte in der Story steht. Und eine Gruppe mehrerer ausgemusterter elektronischer Geräte, die Peter nicht übers Herz gebracht hatte zu verschrotten, ist auf seiner Seite. Herrlich subversiv, anarchisch und klug konzipiert.

So, mehr möchte ich nun nicht mehr verraten. Bis auf die Werbeeinschaltungen in Qualityland, die sind köstlich und fast ein eigenes Kunstwerk.(Wahrscheinlich wird da irgendwann wieder ein Spiel daraus gemacht werden.)
Einen letzten Hinweis habe ich noch: Unbedingt das Hörbuch nehmen! Marc-Uwe liest nicht, als Kleinkünstler performt er das Stück, und das solltet ihr euch nicht entgehen lassen. (Reinhören geht hier!)

Fazit: Ich habe mich keine Sekunde gelangweilt und viele Szenen mehrmals gehört – ES IST GRANDIOS.
10 von 5 Sternen!

 

Qualityland, Collage und Bild (c) Alexandra Wögerbauer - Flicker -kekinwien.at

Qualityland, Collage und Bild (c) Alexandra Wögerbauer – Flicker -kekinwien.at

 

 

Qualityland. Marc-Uwe Kling

Buchdetails:

  • Erscheinungsdatum Erstausgabe : 22.09.2017
  • Aktuelle Ausgabe : 22.09.2017
  • Verlag : Hörbuch Hamburg
  • ISBN: 9783957130945
  • Audio CD
  • Sprache: Deutsch
  • gesehen um ca Euro 18,00

(Beitragsbild: Qualityland, Collage (c) Alexandra Wögerbauer – Flicker)

 

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