Transit. Christian Petzold

Transit, Filmplakat im Stadtkino im Künstlerhaus, Wien, Bild (c) Claudia Busser - kekinwien.at

Transit.

So heißt der neue Film des deutschen Regisseurs Christian Petzold.
Wir waren bei der Österreich-Premiere im Stadtkino im Künstlerhaus …

Paris. 1941 oder irgendwann jetzt. Ein junger Deutscher sitzt an einem Tresen in einem Beisl. Draußen rasen unentwegt Polizeiautos mit Sirenengeheul vorbei. Ein Bekannter kommt vorbei und bittet den jungen Mann namens Georg um einen Gefallen. Papiere sollen einem Schriftsteller übergeben werden, der in einem nahe gelegenen Hotel logiert. Alle sind auf der Flucht. Man ist schnell handelseinig. Doch der junge Mann kommt zu spät. Eine abenteuerliche Reise, seine atemberaubenden Flucht zunächst in Richtung der Hafenstadt Marseille geht weiter. Georg trägt die Papiere des toten Schriftstellers immer bei sich und wird dadurch in dessen Lebens- und Liebesgeschichte hineingezogen. Er entgeht oft knapp der Verhaftung, dem Tod. Andere nicht. In Marseille begegnet ihm eine geheimnisvolle Frau …

Wenn die Vergangenheit eine Zukunft erschwert: Transit

Petzolds Protagonisten sind Menschen auf der Flucht vor den Nazis. „Für die Exilanten wird die Zeit angehalten und dreht sich nicht mehr weiter. Die Vergangenheit, die sie haben, interessiert niemanden. Eine Zukunft haben sie nicht, sie leben nur im Jetzt. Und das Jetzt nimmt sie nicht auf.“ (Petzold / goethe.de). Der historische Kontext im nicht historischen Film wird schnell klar, obwohl die Szenenbilder im heutigen Frankreich angesiedelt sind. Durch die Verwendung von Gegenständen von damals oder durch den Erzählstrang um Flüchtende, die sich um ein Transitvisum bemühen müssen, verschmelzen Geschichte und Jetztzeit.

Ich habe das nicht als störend empfunden, im Gegenteil. Das Drehbuch basiert auf dem gleichnamigen Roman von Anna Seghers aus dem Jahr 1944. Durch den überaus eleganten Trick die Zeitebenen zu vermischen macht Petzold den Stoff gleichzeitig zeitlos und gesellschaftskritisch.

Ein Aspekt der Liebesgeschichte erinnert an Casablanca. Auch Vertigo wurde bei der anschließende Diskussion ins Spiel gebracht. Ich fühlte mich an „Ein Augenblick Freiheit (2008) erinnert und daran, dass Heimatlosigkeit, das Schicksal von Geflüchteten, Verlust und Verzweiflung so heutig sind in Europa wie nie zuvor in meinem Leben.

Der letzte Teil einer Trilogie

Zum ersten Mal ist die Hauptfigur beim deutschen Regisseur nicht weiblich. Wir erinnern uns. Laut IMDb bezeichnet Christian Petzold „Transit“ als das letzte Kapitel seiner Trilogie „Liebe in Unterdrückungssystemen, zu der Barbara (2012) und Phoenix (2014) gehören. Was muss Liebe alles aushalten? ‚Barbara‘ spielte in der DDR, ‚Phoenix‘ nach dem Ende des Nationalsozialismus, und ‚Transit‘ handelt nun von der Liebe auf der Flucht.“

Franz Rogowski, eine Entdeckung

Die Auswahl der Darsteller macht Freude. Der junge Mann, „Georg“ wird von Franz Rogowski (European Shooting Star 2018) so leise, eindringlich, feinsinnig, selbstverständlich verkörpert, dass man wohl erschreckte, wenn man ihm in natura gegenüber stünde und feststellen müsste, dass er nicht wirklich Georg ist. Ich musste an Joaquin Phoenix denken oder an Josef Hader, wenn er gerade schweigt wie in Der Knochenmann (2009). Auch Paula Beer überzeugt als Marie, großartig Lilien Batman als der kleine Bub Driss. In Erinnerung blieb auch Godehard Giese als deutscher Arzt „Richard“. Eine tolle Ensembleleistung!

Mit der Musikauswahl vermochte der Regisseur zu überraschen. Sie reichte vom Kinderlied bis zu den Talking Heads. Die Szene mit dem Kinderlied fand ich ungemein berührend. Sie hat alles: auf den ersten Blick unspektakulär, aber voll von großen Gefühlen wie Liebe, Trauer, Angst.

Alles wirkt durchlässig, flüchtig und unsicher – Transit eben.

Die Regie wirkte detailverliebt und perfektionistisch auf mich. Aber die Ereignisse, die Handlung bleiben glaubhaft, nie wirkt der Film angestrengt. Es gibt übrigens trotz Jetztzeit keine Smartphones im Film – Petzolds Sohn meinte, das passe nicht, verriet der Regisseur beim Publikumsgespräch. In jeder Einstellung sieht man entweder eine Tür, ein Fenster oder beides, auch darauf machte Petzold (in Plauderlaune und großartig interviewt von Elisabeth Scharang) aufmerksam.

Viel Lob aus der Branche

Die Österreich-Premiere im Stadtkino im Künstlerhaus war bestens besucht. Viele heimische SchauspielerInnen, RegisseurInnen und ProduzentInnen ließen sich „den neuen Petzold“ nicht entgehen: Ursula Wolschlager, Marie Kreutzer, Katharina Mückstein, um nur einige zu nennen. Ich erfuhr, dass man in der deutschen Medienlandschaft Christian Petzold „verkultet“. Nun ja, die Begeisterung der Branche nach dem Film war auch hierzulande ziemlich einhellig.

Manche monierten zwar, dass das Auftauchen der geheimisvollen Frauenfigur zu sehr ausgereizt wurde, und dass im letzten Drittel dramaturgisch nicht so sorgfältig gearbeitet worden wäre wie davor. Ich fand die Überrasschungsmomente und die Verknüpfung von Figuren und Handlungssträngen sehr gelungen. Außerdem hätte es „eine kleine Länge“ gegeben. Dass „Transit“ ein sehr guter Film wäre, darüber war man sich aber dann doch einig.

Fazit: Ein schöner, unangestrengter und unanstrengender Film, der nicht nur handwerklich Meisterschaft zeigt, sondern auch zu berühren vermag.
„Schau’n Sie sich das an!“ (Karl Farkas)

 

 

Transit

2018, Deutschland / Frankreich, 102min
Drehbuch: Christian Petzold
Romanvorlage: Anna Seghers
Regie: Christian Petzold
mit Franz Rogowski, Paula Beer, Lilien Batman, Maryam Zaree, Barbara Auer, Godehard Giese, …
FSK 12 Jahre

„Transit“ ist dem Filmemacher Harun Farocki (1944–2014) gewidmet.
Der Film wurde am 17. Februar 2018 im Wettbewerb der 68. Berlinale uraufgeführt, bekam keinen Preis und läuft seit 4. Mai 2018 im Stadtkino im Künstlerhaus und vielen Kinos in Österreich.
(Beitragsbild: Filmplakat im Foyer des Stadtkinos im Künstlerhaus, Bild (c) Claudia Busser – kekinwien.at)

 

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