ursulawolschlager
„Der Kulturbranche ist Inklusion fremd.“

Ursula Wolschlager, CEO von Witcraft Szenario OG hält mit Diverse Geschichten dagegen.
Das Drehbuchentwicklungsprogramm für NachwuchsautorInnen mit interkulturellem Hintergrund geht heuer in die fünfte Saison.
Ein Interview.

Bei “Diverse Geschichten“ wird aus einer Idee ein Drehbuch.
Die Ausbildung für BerufseinsteigerInnen und erfahrene AutorInnen mit Migrationshintergrund wurde von Ursula Wolschlager 2009 zusammen mit Robert Buchschwenter ins Leben gerufen.

Seither durchliefen rund 50 AbsolventInnen aus 27 Herkunftsländern die fast einjährige Weiterbildung und fassten in der Branche Fuß: Risse im Beton von Umut Dag lief auf der Berlinale und ist jetzt bei uns in den Kinos zu sehen, Arman T. Riahi realisierte mehrere Kinofilme, Clara Tischler erhielt den Thomas-Pluch-Drehbuchpreis der Diagonale, um nur einige Erfolge stellvertretend zu nennen.

Die intensiven Workshops finden ihren Abschluss in einer szenischen Lesung im Filmcasino, ein mittlerweile beliebtes Branchenevent, das am 26. November 2014 über die Bühne ging.

kek: Wie sieht “Diverse Geschichten“ im Detail aus?

Ursula Wolschlager: Eine Jury wählt zehn KandidatInnen und ihre Stoffe aus – letztes Jahr hatten wir über 40 Bewerbungen. Während des Lehrgangs werden filmische Erzählhaltungen und Techniken vermittelt. Das beinhaltet die Begleitung in Dramaturgie, Dialog und Figurenpsychologie. Aktuell haben wir verstärkt mit Drehbuchaufstellungen durch Schauspielprofis gearbeitet.

Wie war die Resonanz in der Branche?

Der Filmfonds Wien war von Anfang an ein Hauptförderer. Die Kulturbranche geht sonst nicht nach dem Motto der Inklusion vor, sondern eher danach, wer schneller an den Trögen ist. Der Gedanke Menschen hereinzuholen ist nicht stark ausgeprägt. Menschen mit Integrationshintergrund können durch “Diverse Geschichten“ ein weiteres Berufsfeld betreten, erhalten einen Multiplikator in der Kommunikation. Beim Integrationsfonds sind wir zwar mehrmals abgeblitzt, aber die Nominierung für den Österreichischen Staatspreis für Erwachsenenbildung 2010 machte Freude.

War das Drehbuchentwicklungsprogramm nicht zu ambitioniert für den Markt?

Nein, wir waren am Puls eines Trends. Unsere zweite Präsentation 2012 hatte viel mehr Publikum als die erste und das, obwohl die Publikumszahlen im Kino stark zurückgehen.

Woran liegt es, dass immer weniger Menschen ins Kino gehen?

Bei Festivals wie der Viennale funktioniert alles wegen des Eventcharakters wunderbar. Das Problem ist, dass Filme nicht lang genug laufen, das Angebot ist quantitativ sehr hoch, die Verleiher haben zu wenig Geduld und behalten die Filme nur sehr kurz im Kino. Diese Strategie funktioniert aber nur für Mainstream-Filme mit einem riesigen Marketingbudget. Die Schere zwischen Arthouse und Blockbuster wird immer größer.

Apropos Publikum: wo sind die Kinobesucher mit Migrationshintergrund?

Schwierige Frage. Türkischstämmige Menschen konsumieren türkische Komödien und Actionfilme. Das Segment an Cineasten ist hier insgesamt klein. Vielleicht haben sie ja das Gefühl, dass die Filme, die aus “Diverse Geschichten“ hervorgehen, nicht für sie sind. Außerdem empfinden manche TeilnehmerInnen des Workshops ihren Migrationshintergrund als Stigma. Ich spreche ja lieber von “Postmigranten“. Wir müssen achtsam bleiben, denn ein “Stempel auf der Stirn“ weist den PostmigrantInnen einen bestimmten Platz in der Mehrheitsgesellschaft zu.

Wie geht es dem Österreichischen Film?

Die Situation ist momentan sehr schwierig. Die Gelder werden immer weniger. Die Mittel von ORF und FISA sind deutlich zu gering..Die Zerstörung einer ganzen Branche samt Verlust vieler Arbeitsplätze droht – insgesamt ein total kurzsichtiges Vorgehen.

Und wie ist die Situation von Frauen in der Österreichischen Filmindustrie?

Frauen sind in kleinen, selbstausbeuterischen Projekten in der Überzahl. Je höher das Budget, desto geringer der Frauenanteil. Die Problematik ersteht aus einer Produktionslandschaft, die im europäischen Vergleich sehr männlich geprägt ist. Die Vergangenheit bedingt, dass es keine Frauen mehr gibt, die als Vorbilder, Mentorinnen, Netzwerkerinnen fungieren. Wir müssen also selber dazu werden und die Unterstützung der männlichen Kollegen einfordern, die sich allerdings teilweise von jüngeren Produzentinnen bedroht fühlen. Das Geschlecht ist von Bedeutung! Das Negieren von Gender als Thematik für gesellschaftliche Verhältnisse ist Teil einer Strategie Frauen rauszudrängen. Man muss die Frauen, die es gibt stärken: der FC Gloria ist eine Initiative zur Sichtbarmachung von Frauen in der Österreichischen Filmbranche. Ich hoffe auf einen Paradigmenwechsel.

Wie soll also das Kino der Zukunft sein?

Das Kino verdient im Kulturverständnis der Gesellschaft einen höheren Stellenwert, ähnlich wie in Frankreich zum Beispiel. Die Marke “Österreichischer Film“ soll sich im Bewusstsein verankern. Das Hereinholen des jüngeren Publikums muss passieren. Der Kinder- und Jugendfilm hat allerdings mit dem Vorurteil zu kämpfen, er sei kein künstlerisches Produkt. Familiy Entertainment in Form von Animationsfilmen ist bei uns übrigens unfinanzierbar – das würde die gesamte Filmförderung mehrerer Jahre verschlingen.(lacht)

Eine Antwort auf die “Gute Fee-Frage“?

Genügend Geld, damit eine Vielfalt an Filmen ins Kino kommt. Ein stetig wachsendes Publikum, das Film für sich als etwas Bereicherndes wahrnimmt. Und dass die unfassbare Ignoranz dem geistigen Eigentum gegenüber aufhört. Für Witcraft, dass wir weitergeben können, was wir in den letzten Jahren entwickelt haben und innerhalb der Firma die Realisierung von mehr Spielfilmproduktionen wie Die Vaterlosen.

Danke für das Gespräch.

Ursula Wolschlager
(geboren 1969) ist Produzentin, Autorin und CEO der Filmproduktion Witcraft Szenario OG. Sie ist seit 1995 in der Filmbranche, erhielt 2002 den Carl-Mayer-Drehbuchförderpreis und gründete 2008 zusammen mit Robert Buchschwenter “Diverse Geschichten“.
Kontakt: www.witcraft.at und www.diversegeschichten.at

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