Ochsenherzen auf dem Meidlinger Markt
‚Die Zeit ist stehen geblieben auf dem Meidlinger Markt‚, schreiben die Wiener Einkaufsstraßen auf ihrer Internetseite. Da war die Entwicklung schneller als die Wirtschaftskammer, denn mehr am Puls der Zeit kann man momentan gar nicht sein!

Und ‚orientalisch‘ wäre das Flair- nichts gegen orientalisch, aber das ist es gar nicht.
Sondern so was von echt wienerisch (so wie Wien heute ist) und zum Eintauchen für jeden, der gerade zufällig vorbeikommt, das gibt es nicht all zu oft.

Die meisten von uns Wiener_innen sind ‘Zuagraste’, aber ob Burgenländer_in, oder Vorarlberger_in, es bleibt der Bekanntschaftskreis, den man in ‘der Fremde’ schließt, doch oft eingeschränkt.
Wo kann man also Ex-Yugoslawi_nnen, Türk_innen, Rumän_innen, Bulgar_innen, … kennen lernen und hat automatisch ein wunderbares gemeinsames Gesprächsthema – das Essen. Von überall dort kommen die Marktstandler_innen und über den Marktplatz sieht man eine noch viel buntere Mischung an Menschen laufen, nicht nur nach ihrer Herkunft.

Manchmal gibt sich der Meidlinger Markt sperrig und unangepasst, dann quillt er wieder über vor herzlichem Leben.
Es ist nicht nur ein selbstverständliches, friedliches Nebeneinander, es ist ein Miteinander, das man schon ein wenig bewundern darf.

Meidling ist nicht so weit vom Schuss, wie man meint.
Mit der U6 drei Stationen vom Westbahnhof in die Niederhofstraße, den Interspar rechts liegen lassen, und schon ist man da – um’s Eck von der Meidlinger Hauptstraße. Bitte nicht verzweifeln, wenn man im Umkreis von fünf Minuten niemanden findet, der überhaupt weiß, dass es diesen Markt gibt: ein Lebensmittel-Markt ist immer noch ein Geheimtipp.

Vor ein paar Jahren war es trostlos auf fast allen Märkten Wiens, aber meist kommt genau dann, wenn man glaubt, jetzt ist es ganz aus, die unerwartete Wende.
Heute ist der Meidlinger Markt ein Rohdiamant, der nicht geschliffen werden will.
Geschliffen werden hätten vor nicht all zu langer Zeit noch die Marktstände werden sollen, dieses Schicksal ist glücklicherweise abgewendet.

auf dem Markt ...

 

 

 

 

Nuran

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dann kam eine Neugestaltung durch die Stadt.
Diese fällt vor allem durch die Errichtung einer nicht gerade dezenten WC Anlage auf, der auch zwei Bäume weichen mussten. Um Marktleben zu initiieren, braucht es mehr Feingefühl. Dass Sitzbänke aufgestellt wurden, damit auch verweilen kann, wer nichts konsumieren will, war ein erster Schritt. Über den ist man heute aber schon weit hinaus, das ist vor allem auch „Wir sind 12 zu verdanken (Meidling = der 12. Bezirk).

Beim ersten Treffen waren sie acht, inzwischen ist „Wir sind 12“ ein Verein, ein inklusiver Zusammenschluss von Bürger_innen. Man ist auch schon zu vierzehnt und zu Veranstaltungen kommen viele, viele, viele mehr. Wenn die Obfrau Sabina Naßner-Nitsch sagt, dass es mit Untermeidling weiter bergauf gehen wird, dann weiß man, dass sie recht hat. ‚Zur Zeit entwickelt sich der Markt zu einem Treffpunkt der gepflegten Verschiedenheit.‘
Nächste Veranstaltung am 5. Juli 2014 ab 10.00 Uhr –  am Markt!

Das Kommunizieren läuft schon prächtig, ebenso das Konsumieren.
Der Milchbart feiert mit seinem Stand der kreativen Küche heuer schon sein zweijähriges Jubiläum.
Christian Chvosta, gelernter Koch, früher bei den drei Husaren, serviert auch ‚mal elegant auf dem Skateboard. Die Hierarchie der Restaurantküchen ist nichts für ihn. Am Markt kann er alle seine Talente, auch das als Vernetzer, ausleben. Dort sieht man ihn an Nachbarständen plauschen, wo er seine Zutaten einkauft. Charmant serviert er ein Menü oder Kaffee und Kuchen, dazwischen erkundigt er sich quer über den Platz bei einer jungen Dame nach dem Befinden. Mit all seiner Ausstrahlungskraft ist er der geborene Wirt, und dieser ‚Spirit‘ steckt glücklicherweise an.

Milchbart
Meidlinger Markt 6 -8, 1120 Wien
Tel.: 0681/20461044
web: https://www.facebook.com/pages/Milchbart/402789039763137
offen: Mo bis Sa 8.00 – 19.30 Uhr

Milchbart

anna

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Köchin Anna von gegenüber ist gerade erst ‚mal seit zwei Monaten da und betont, ihr kleines Ladenlokal Anna sei hauptsächlich dem Handel gewidmet.
Wenn man den Leuten einen Kaffee servieren kann, käme man aber leichter ins Gespräch. Der Kaffee ist selbst geröstet, den sollte man gleich probieren und das Gespräch mit Anna nicht ausschlagen. Auch wenn man nicht zum Essen gekommen ist, unbedingt etwas hausgemachtes Süßes dazu nehmen, das köstlich und erfreulicherweise gar nicht zu süß ist.

Oder doch eine Extrawurst- oder Beinschinken Semmel?!
Semmeln vom Szenebäcker, stadtbekannten Schinken, und die angesagtesten Gurkerl kann jeder anbieten.
Anna hat Produkte gefunden, die den genannten in Qualität und Geschmack um nichts nachstehen – und die Gurkerl legt sie auf ihre Art selber ein. Man findet Essige und Öle von ihrem früheren Arbeitgeber Gegenbauer oder hochwertigste Sardinendosen aus Frankreich, weil Anna eine halbe Französin ist.
Zu all dem gibt es Geschichten, und nicht nur die machen es so schön hier einzukaufen!

Anna am Meidlinger Markt
Meidlinger Marktstand 25 -27
Tel.: 0699 19061877
E-mai: standl@anna-am-markt.at
web: http://www.anna-am-markt.at
fb: https://www.facebook.com/pages/Anna-am-Meidlinger-Markt/689493104446804?sk=info
offen: Di bis  Sa 9.00 – 18.00 Uhr

Purple Eat, der unübersehbare violette Marktstand, hat auch erst heuer eröffnet.
Er wird von den Schützlingen des ‘Freunde Schützen Hauses bekocht’, 50 Familien, denen die Abschiebung droht und die im Haus des Vereins Purple Sheep leben. Hier am Markt kann jeder in den Genuss von Kochkünsten kommen, die einem sonst verborgen bleiben. Alle Zutaten sind so bio und regional wie möglich, damit lässt sich herrlich chinesisch, russisch, georgisch,  persisch, afghanisch, somalisch, … kochen. Integration geht durch den Magen – und lässt die Liebe zu fremden Kulturen entstehen.
Wenn man auf facebook die jeweiligen Tagesmenüs anschaut, bekommt man einen unglaublichen Guster!

Purple Eat
Rosaliagasse 5, 1120 Wien
Tel.: 0660 / 6808727
E-mail: office@purplesheep.at
web: http://www.purplesheep.at
offen: Mo bis Sa 11.00 – 22.00 Uhr

purple eat

 

Fleisch von Nuran

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nuran ist gelernter Edelsteinkundler, was wieder zum Bild vom Meidlinger Markt als Rohdiamanten passt, den Nuran in Philosophie fasst.
An seinem Stand sind Kalb, Rind und Lamm in bester Qualität wie Pretiosen ausgelegt, die schönste Fleischtheke, die man sich vorstellen kann!
Merguez, die faschierten Lammspieße und Pastrami möchte ich extra erwähnen. Christoph Wagner hat hier eingekauft und wußte sicher, warum.

Den äußerst zuvorkommenden Herrn Nuran fragt man auch gerne nach der richtigen Zubereitungsart oder unterbreitet ihm Sonderwünsche. Seine armenische Familie mußte in den siebziger Jahren die Türkei aus politischen Gründen verlassen. Zur Familie gehört auch der Gewürzhändler Araxi nebenan – ist übrigens auch einer der besten Gewürzstände auf dem Naschmarkt.

Die Fleischerei Djokic führt Mangalitzerschwein, aber dabei blieb es nicht.
Sie hat es nach dreijähriger Bemühung geschafft den ersten Holzkohlengrill auf einem Markt errichten zu dürfen. Da gibt es Spieße und ganze gegrillte Tiere.
Saric, der dritte Fleischer auf dem Markt, betont, österreichische Ware zu beziehen, das ist gut, aber nicht automatisch das Beste. Eine ‚automatische‘ Qualitätsstufe wäre Biofleisch, warten wir’s ab …

Helmut Klima hat seinen Marktstand, der seit 1923 im Besitz des Familie ist, als Hochzeitsgeschenk von der Oma bekommen.
Vom Backfisch mit selbstgemachtem Kartoffelsalat schwärmen auch etliche der anderen Marktstandler. Es gibt frischen Fisch, der so gut ist, dass man ihn ruhig ein bisserl aufwendiger präsentieren sollte.

Besonders gefallen haben mir die Welsfilets von der Fischzucht Gut Dornau – südlich von Wien.
Meeresfische gäbe es auch, aber da ist mir in den letzten Jahren aus mehreren Gründen die Lust vergangen, wie auch auf den Viktoriabarsch, der gar nicht mehr im Angebot sein sollte. Da schlage ich lieber zu, wenn es ab September wieder Lebendfische gibt, vor allem Karpfen, Forellen und Saiblinge. Auf Bestellung bekommt man sogar heimische Flusskrebse, und der Milchbart verrät, dass Mr. Klima fast alles besorgen kann.

Beim ‚Schwarzmeerfisch‘ Stand der Familie Karadeniz ist das Angebot kleiner.
Dass hier der billige Pangasius angeboten wird, dessen Zucht für die Umwelt viele Nachteile bringt, ist traurig.
Aber die in der Pfanne gebratenen Sardinen, die sich von den Insider_innen vor allem bei den Marktfesten keine_r entgehen lässt, loben alle.

klima

baecker

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Ozkaya
bäckt türkisches Fladenbrot direkt auf dem Markt und das schmeckt so frisch wirklich am besten.
Für das Baklava trete ich als Baklavaliebhaberin eine Anreise quer durch Wien an, seit mich die ’12erin‘ Sabina drauf hingewiesen hat (nicht mit Margarine, mit Butter!). Herr Sevki Kaya betreibt auch einen der beiden schönen Obst- und Gemüsestände. Man gekommt dort z.B. auch kleine Kürbispflänzchen für den Garten oder Balkon und Kräutertöpfe.

Die Gemüsestände werden in Marktberichten meist nicht hervorgehoben, dabei macht gerade deren saisonale Vielfalt und beständige Qualität die Basis eines Marktes aus.
Es soll in Kürze einen mehr geben und auch noch auf ungewöhnliche Weise kommt Verstärkung. Aus ‚Schloß-Schlüssel Evrankeia‘ macht, wie ich gehört habe, die Tochter dieser Tage einen Stand mit Obst und allem, was man draus (raw!) machen kann.

markt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Myumyunov ist ein netter kleiner bulgarischer Laden, der manchmal auch frische Waren anbietet.
Die herrliche bulgarische Küche verwendet viele Nüsse, Granatapfel, Auberginen und Kräuter. Ein bisschen kann man sich hier schon inspirieren lassen, und vielleicht findet sich was Interessantes.  Myumyunov Seyhan Shukriev betreibt auch einen der Gemüsestände.

Carpatia
importiert aus Rumänien und hat viele Rumänische Stammkunden, die den typischen Rumänischen Geschmack der Produkte schätzen, die wir in Varianten aus den Nachbarländern, oder der Türkei und Griechenland kennen.
Der Milchbart hat mir empfohlen hier den Rumänischen Wein zu probieren, was ich aber leider noch nicht getan habe.

Jedesmal, wenn man um’s Eck biegt taucht ein Geflügelladen auf: Wadi, Tschilitsch und Kornfeind.
Weil ich aber bei meiner Besuchen keine Bioqualität bekommen habe (ausverkauft, anderer Wochentag, …) und ich gerade da bei Geflügel sehr genau bin, nicht nur wegen der armen Hendln, sondern weil man’s schmeckt, habe ich da noch nichts ausprobiert.

Pferdefleisch 
ist nicht meins und über den Stand ‚Gumprecht‘ wusste auch niemand, den ich gefragt habe, etwas zu berichten.
Vielleicht hätte ich mich zumindest reintrauen sollen?

Gemüsestand auf dem Meidlinger Markt

 

tanz


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Am Landparteien Markt werden an jedem Markttag an der Reschgasse, manchmal auch an der Niederhofstrasse, mehr oder weniger viele Stände aufgebaut:
offen: Mo bis Sa 7.00 – 14.00 Uhr.
Die meisten bieten sehr schönes Obst, Gemüse und Blumen aus Österreich und den Nachbarländern. Ein Ungar bringt ‘im Kleinen’ angebautes Gemüse, das oft unglaublich günstig ist. Begehrt sind die Hartwürste und am Samstag das Holzofenbrot.

In etlichen weiteren Gastronomiebetrieben und deren Schanigärten ‚dischkerieren‘, ‚kartln‘, essen und trinken vor allem die älteren Herren.
Ich frage mich, wie wird es in ein paar Jahren hier aussehen, wenn Anna und ihre junge Kundschaft und der Milchbart und seine Klientel in Pension sind?
Sicher gut, weil sie, anders als vergangene Generationen, immer die Werte eines lebendigen Marktes hochhalten werden.

fischkebap

 

Dein Kommentar

keke Spam-Abwehr: *

1 comment

  1. Margit Huttar

    Was für ein feiner Artikel. Da freue ich mich als seit mittlerweile 13 Jahren Meidlingerin, Mitglied des Vereines „Wir sind 12!“ und Dauergast in den Marktlokalen! Vielen Dank!
    Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es auch diesen Samstag, 28.06.2014
    eine Veranstaltung im Rahmen von „Punkt 12!“ mit einem feinen vielfältigen Programm geben wird.
    http://www.facebook.com/events/1500317190187306/?fref=ts
    Herzliche Grüße Margit Huttar