Die Weiße Straße.
Auf den Spuren meiner Leidenschaft
Edmund de Waal.
Wenn ich ein Buch sehr mag, lese ich es langsamer und langsamer. Früher hätte ich es gegen Ende hin rasant verschlungen, aber jetzt will ich kein einziges Wort versäumen. Überdies zögere ich den unvermeidbaren Augenblick hinaus, in dem ich die letzte Seite zu Ende gelesen habe. Ende. Ein trauriger Moment, der mich aber nicht davon abhält es wieder zu tun, nämlich mit Begeisterung einem Buch verfallen.
Zuletzt dem „neuen de Waal“.
Dass ich ein Fan von Edmund de Waal bin, ist kein Geheimnis. Ich habe Der Hase mit den Bernsteinaugen erst viel später als die meisten entdeckt, dafür bekomme ich heute noch feuchte Augen, wenn ich davon erzähle. Ich reise zu den Installationen des Keramikkünstlers, wann immer es mir möglich ist. Ich habe wohl eine Schwäche für Universalgenies: Der Mann ist Keramiker, Künstler, Autor, Wissenschaftler, …

Porzellan ist überall. Foto (c) Andrea Pickl – kekinwien.at
Die Liebe zu Porzellan empfinde ich weder als elitär, noch als nicht zeitgemäß. Ich hatte das Glück, dass ich schon als kleines Mädchen aus hauchdünnen Teeschalen trinken durfte. Es war ein chinesisches Service, das meine Eltern zur Hochzeit geschenkt bekommen hatten. Es wurde nur benützt, wenn wichtiger Besuch kam. Es gab belegte Brote, denn gekocht wurde bei uns für Gäste nicht. Heute denke ich, wir konnten uns das einfach nicht leisten.
Die Tassen hatte blauen Dekor und die Kirschblütenbätter waren so hauchdünn gefertigt, dass sie durchscheinend waren. Ich erinnere mich, die Tassen gegen das Licht gehalten zu haben, um die Blüten zu bewundern. Sehr viel später kam ich dann dank meines Stiefvaters mit Meissen und Wedgwood in Kontakt. (Es liegt in der Gastronomie derzeit nicht im Trend, aber mir geht nichts über weißes Porzellan.)

Das ist kein De Waal. Foto (c) Andrea Pickl – kekinwien.at
Der Buchtitel sagt alles.
Es ist ein wissenschaftliches Buch, das die historische Entwicklung des Porzellans beleuchtet.
Es ist ein sehr privates Buch, fast intim. De Waal kehrt manchmal, selten sein Innerstes nach außen, aber nie hascht er nach Effekten oder wird distanzlos. Sehr berührend.
Es ist ein poetisches Buch, was auch der großartigen Übersetzung von Brigitte Hilzensauer zu danken ist. Manche Sätze sind von so klarer Schönheit, dass man sie immer und immer wieder liest in der (bei mir sinnlosen) Hoffnung, sie mögen sich im Gedächtnis verankern.
Es ist ein Buch zum zwei Mal lesen.
Edmund de Waal: Die weiße Straße
Auf den Spuren meiner Leidenschaft
2016, Verlag Zsolnay, 464 Seiten mit Abbildungen
ISBN-13: 9783552057715, ISBN-10: 3552057714
Gesehen um ca. Euro 26,00 im guten Buchhandel.