Schon recht wagemutig von uns journalistischen Quereinsteiger und kulinarischen Greenhorns mit Florian Holzer einen führenden Gastrokritiker Österreichs zum Interview zu bitten.
Mit der Freude über die Zusage, kommen auch gleich die Zweifel.
Können wir das schaffen? Ist jemand, dem Köche und Kellner zu Füßen liegen, jemand, dem allwöchentlich die Leser von Freizeitkurier und Falter quasi an den Lippen hängen, womöglich eine Diva?
Die Befürchtungen waren unbegründet: offen, freundlich und druckreif hat uns Florian Holzer drei Stunden seiner Zeit geschenkt. Und „nebenbei“ gemeinsam mit uns ein Lokal getestet.
Wir warten im Schanigarten. Er kommt mit dem Fahrrad. Ob wir wohl hinein gehen könnten, damit er sich einen Eindruck vom Lokal verschaffen kann? Natürlich. Wir sind die einzigen Gäste, es ist noch ruhig.
Wir plaudern und bestellen. Die Teller gehen herum. Es macht Spaß.
Der gefürchtete Kritiker bei der Arbeit: ja, das kleine schwarze Buch und der Fineliner liegen neben ihm auf dem Tisch. Bist du gefürchtet?
„Menschen lieben Verrisse. Wir sind in Wien! Aber ich versuche mit der Verantwortung so gut wie möglich umzugehen. Natürlich habe ich Feinde unter den Wirten.“
Und unter den Gastrokritikern, ist man einander da grün?
„Wir lesen uns alle gegenseitig. Ich mag Alexander Bachl, er schreibt unaufgeregt, distanziert und analytisch. Karin Schnedgar (Kronen Zeitung), mit der ich befreundet bin, wird unterschätzt.“
Dass Severin Corti (Der Standard) und Holzer (vormals der Standard) nicht ziemlich beste Freunde sind, ist wohl landläufig bekannt. Es ist fast amüsant wie leidenschaftlich sie einander nicht mögen. Dann doch gleich das nächste heikle Thema:
Und wie funktioniert das mit dem Gewichtsmanagement?
„Reines Glück! Ich esse wirklich wahnsinnig viel. (Stimmt. Darüber haben wir sogar schon mit Lea Redolf vom Wetter geplaudert. Anm. der Redaktion) Ich bin ein schlechter Verwerter. Und wegen meinem Diabetes Typ I esse ich wenig Kohlenhydrate.“
Was wolltest du eigentlich werden?
„Als Kind Maler, ich habe dann aber alles studiert: Publizistik, Politikwissenschaften, Psychologie, Philosophie, Soziologie und bin im 2. Studienabschnitt beim Falter gelandet …“
Wie wird man das überhaupt, „Gastrokritiker“, wer bezahlt das Essen und wie erfährt man von neuen Lokalen?
„Da gibt es unterschiedliche Grundhaltungen … und ich habe kein Spesenkonto!
Der Kontakt kommt oft von den Lokalen selbst. Neues ist dabei mein Ding! Weil’s mich nach einem Jahr nicht mehr interessiert.
Also etwa ein Drittel kontaktiert mich aktiv, ein Drittel finde ich ich selber per Fahrrad und ein Drittel kommt via Empfehlungen aus meinem Netzwerk von Freunden, das man halt nach 25 Jahren hat.“
Kannst du kochen?
„Ich kann nicht kochen, aber ich koche mit großer Leidenschaft!
Nur jedes Mal, wenn ich versucht habe zu backen, gab es eine Katastrophe.
Ein Käsesouffle habe ich über Jahrzehnte geübt und verfeinert, es gelingt in 30 % der Fälle. Und ich haben eine Lade mit selten verwendeten Küchengeräten.
Kochen ist nichts Elitäres und gutes Essen ist für jeden leistbar.
Ich gehe nie in den Supermarkt. Es macht Spaß, wenn man weiß, wo man was einkaufen kann, das braucht allerdings eine gewisse Bereitschaft sich zu informieren. Ein guter Journalist muss auch nicht unbedingt kochen können, es ist viel wichtiger Trends zu erkennen, aber es hilft das mit Interesse zu kompensieren.“
Wohin geht sie also, die Österreichische Küche? Was sind die Trends?
„Kaffee und Bier sind der neue Wein.
Die Veggie Szene beobachte ich seit 20 Jahren. Wobei, wenn das zur Religion wird – das geht sich für mich nicht aus.
Nordafrika ist gefragt und es gibt eine Pseudo-Broadway / East Village Imbisskultur, die inspirierend wirkt, sie vermittelt urbane Lebensfreude und bringt zum Beispiel tolle, gut kombinierte Salate hervor wie in der Bakery und eben die witzig kreativen Edelimbisse.
Der Pizzahype hingegen hat mich völlig überrascht.“
Und die „Burgermania“?
„Das ist gastronomischer Mehrwert mit minimalen Einsatz, das Steak für Arme: Männer essen Burger, Frauen Quiche.
Wien ist in einer wahnsinnig evolutionären Phase!
Seit Jahresanfang gibt es 1000 Sitzplätze mehr in der gehobenen Gastronomie, in einem Bereich, der bis jetzt schon 35-50% überrepräsentiert war. Es gewinnen nur die stärksten, schönsten, besten, sexiesten. Wien ist einfach so eigen, hat eigene Regeln.“
Was isst du gar nicht?
„Es ist wichtig für mich alles auszuprobieren. Nur Bechamel muss einen ironischen Aspekt haben, damit ich das mag.
Grundsätzlich gilt: je ärger, desto lieber!
Allerdings habe ich wissentlich noch nie Augen gegessen. Was ich auch nicht brauche: Lebendiges. Und von der Gänsestopfleber habe ich mich verabschiedet, ebenso vom Beluga.“
Gibt es so etwas wie eine Lieblingsspeise?
„Nein.“
Und wenn du nicht gerade so wie mindestens zwei Mal pro Woche dienstlich isst, wo isst du dann?
„Bei Hidden Kitchen mag in die Quiche besonders. Und früher war das Schwarze Kameel mein Stammlokal.“
Er bemerkt meine hochgezogene Braue.
“ ‚Lokale, die einem wichtig sind, muss man besetzen!‘, sagt der Gregor Eichinger in so einem Fall.“
Stimmt. Da fällt mir der von Hand geschnittene Beinschinken ein, mit dem der wunderbare Kellner die keke Autorin hab und mich im Kameel spät nachts einmal schier vor dem Verhungern gerettet hat.
„Ich gehe gern ins Holy Moly, ins Palmenhaus und in den Volksgarten Pavillion, wenn gegrillt wird; früher oft ins Glacisbeisl. Und ins Wetter, zu Francois im Vierzehnten. Und zum Artner.“
(Geständnis: Gottseidank, die genannten Lokale haben wir alle schon getestet. Und das Holly Molly ex aequo mit dem Wetter sind neben dem Engel und dem Basilicum unsere Lieblingslokale derzeit.)
Wo bleiben da die Luxusrestaurants, die Hauben- und Sterneköche des Küchenolymps?
„Ein Mal im Jahr muss das Steirereck sein. Auch um dialogfähig zu bleiben.Vielleicht zwei Mal im Jahr.“
Er grinst. Und denkt kurz nach.
„Aber mittags muss ich Sandwich haben. Im Elephant & Castle oder im Chimbiss.“
Die Leidenschaft des Florian H. für Sandwiches, besonders, wenn Pastrami im Spiel ist, kann jedem auffallen, der mit ihm auf facebook befreundet ist:
Findest du es wichtig, dass man sich als Journalist in der Social Media Welt bewegt?
„Nein. Auf facebook poste ich Nonsens, Groteskes, Absurdes, unmittelbare Gemütsäußerungen. Ich streite zum Beispiel wahnsinnig gern auf facebook. (Er grinst wieder.) Ich nutze es nur privat.“
Bist du privat, im richtigen Leben, eigentlich mit Lokalbesitzern befreundet? Ist es nicht ein Dilemma, wenn das Restaurant von Freunden schlecht ist?
„Ja. Da bin ich so unlocker!
Ich versuche möglichst nicht mit Gastronomen befreundet zu sein.“
Wäre vermutlich auch irgendwie schlecht für’s Inkognito. Gibt es das nach jahrzehntelanger Tätigkeit in der Szene überhaupt noch?
„In Dreiviertel aller Fälle werde ich nicht erkannt! Auffällig ist, wenn man überproportional viel isst, also vier oder fünf Gerichte allein. Oder wenn man komisch fragt und mehr weiß, als der Kellner oder der Wirt.“
Erstaunlich. Florian Holzer ist auch stellvertretender Chefredakteur bei Gault Millau Österreich und verantwortlich für den Wein-Guide von Gault Millau.
Gibt es für Gäste No-Gos bei Restaurantbesuchen?
Die Antworten kommen schnell und ohne Nachdenkpause.
„Hunde vom Tisch füttern.“
D’accord.
„Mühsam und kompliziert sein – der Action und des Dramas wegen.
Andererseits: nicht beachtet zu werden. Wenn der Wirt Spaß dabei hat, dich nicht zu beachten.
Man sollte einander auf Augenhöhe begegnen. Geben und Nehmen. Es braucht beides.“
Zum Schluss bitten wir zum keken Wordrap.
Kunst, Essen, Kino – wobei, Essen haben wir ziemlich durch. Also Kunst:
„Malen ist mir nahe. Ich habe einen Onkel in Dänemark, Adi Holzer, der sakrale Glasfenster macht. Und einer meiner Freunde betreibt den Kunstverein Hans Reh (Florian Holzer kocht dort bei den Finissagen! Anm.). In meiner Wohnung gibt es viel Kunst, aber alles steht herum, nichts hängt. Auf Hinweise von kompetenten Freunde, oft selbst Künstler, gehe ich in Ausstellungen. Große, gut kuratierte Ausstellungen im Bank Austria Kunstforum oder im Kunsthistorischen Museum mag ich schon sehr gern.“
Kino?
„Ins Kino komme ich relativ selten.“
Aber es gibt Lieblingsfilme, in denen es ums Essen gibt, oder?
„Ja: mein Favorit ist Eat, Drink, Man, Woman und natürlich Das große Fressen und Babette’s Fest.“
Vielleicht doch noch „Essen“: Trinken?
„Mein Lieblingsbars sind derzeit die Cocktailbar Puff und If Dogs Run Free.“
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Drei Gänge später, glücklich und ein wenig erschöpft danken wir für das Gespräch.
Florian Holzer ist Autor und Co-Autor zahlreicher Bücher, er schreibt für in- und ausländische Magazine zum Thema „Essen & Trinken“, seit einigen Monaten auch bei „gusto“.
Und seit kurzem ist er wieder Weinbauer.