Das böse Mädchen erscheint „Ricardito“, wie sie den Erzähler später nennt, als entfesselt tanzende Elfin im Lima der 1950er Jahre.
Sie ist zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre alt und reift zur rätselhaften Verwandlungskünstlerin.
Weil es bei den jungen Peruanern gut ankommt, präsentiert sie sich als Chilenin. Die gewandte Opportunistin wird später zur Braut eines führenden Guerilleros, eines Pariser Diplomaten, eines wohlhabenden englischen Pferdezüchters und anderer Sponsoren.
Verführung käme der selbstbewussten Schönheit von kleinem Wuchs und samtener Haut nicht einmal ansatzweise in den Sinn. Von Ricardo erwartet sie raffinierte Eroberung, bestraft ihn für jede Sekunde geteilter Aufmerksamkeit und nutzt seine Willfährigkeit zuweilen skrupellos aus. Erotik und Lust sind keine ihrer zentralen Anliegen. Die Anziehungskraft der Namenlosen ist Währung im Austausch für ein angenehmes Leben und sozialen Aufstieg.
Wir erleben ihren Sex mit dem Ich-Erzähler aus dessen trockener und skizzenhafter Optik. Vom Augenblick der Begegnung an ist Ricardo mit ganzem Herzen und vollendeter Hingabe in sie verliebt. Um den Mittelpunkt seines Universums zu sehen biegt er seine beruflichen Aktivitäten, opfert seine Finanzen und unterwirft sich den Notwendigkeiten ihres Versteckspiels.
Rund um den Handlungsfaden erleben wir den Zeitgeist der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Paris, London, Madrid, Tokio und Lateinamerika. Bohemiens und Botschafter, Musen und Manager sind bunt gezeichnete Nebendarsteller.
Ricardos Beruf als Übersetzer und Dolmetscher nutzt Vargas Llosa zur Allegorie der Sprache. Das Erleben von Nomadentum und Fremde tragen zum schillernden Handlungsmosaik bei. Die Essenz des Werkes liegt eindeutig in der spröden und kontroversen Liebesgeschichte, die nahezu sämtliche vorstellbaren Untiefen auslotet.
Das böse Mädchen bleibt fast bis zuletzt so betörend wie unbestimmt. In der Sprache des Autors überstrahlt die ausgefeilte, wenn auch weitgehend projektionsfreie Darstellung männlicher Leidenschaft die Mystik der weiblichen Protagonistin.
Der Roman ist auch deshalb am ehesteten Lesestoff für Hedonisten.
Leserinnen werden der Lektüre weniger abgewinnen.
Das böse Mädchen
Originaltitel: Traversuras de la nina mala
Mario Vargas Llosa
2006, Auflage: 2. (14. August 2006), gebundene Ausgabe 399 Seiten, Suhrkamp Verlag, Frankfurt
Übersetzung: Elke Wehr
ISBN-13: 978-3518418321
gesehen um Euro 24,80
2007 auch als Taschenbuch bei Suhrkamp Verlag, Frankfurt erschienen
ISBN: 978-3-518-45932-4