Abara da Kabar, Emil Bobi

Abara da Kabar, Emil Bobi - kekinwien.at

Dysfunktionale Sprache

Dieser Roman war für mich heuer bisher die größte positive Überraschung, er hat mich in seiner Kuriosität, durch den schrägen Plot, die klugen tiefen Analysen, die wunderbare Sprache und den Sprachwitz regelrecht vom Hocker gerissen. Die völlig abgefahrene, intellektuell höchst anspruchsvolle, teilweise gruselige Geschichte hat mich in ihr Kaninchenloch hineingesogen und einfach nicht mehr losgelassen.

Ehrlich gesagt, hatte ich ursprünglich sogar etwas Widerstreben, das Buch zu beginnen, denn ich habe es ausgewählt, gerade weil der Klappentext so skurril war und so etwas kann – wie ich aus Erfahrung weiß – auch total in die Hose gehen. Diesmal ist es wieder einmal geglückt, dass ich mich unternehmungslustig und furchtlos aus meiner Komfortzone herausbegeben habe.

Der Grundgedanke der Geschichte, dem sich die gesamte Handlung mit allen Nebenstrangerzählungen unterordnet, ist unsere Sprache, ihre Dysfunktionalität, beziehungsweise auch wie sie funktioniert und wie unser Spracherwerb passiert.

Während der intensiven gedanklichen Auseinandersetzung über die Lücke zwischen Gesagtem und Gemeintem und dem Anprangern der Unzulänglichkeit der Sprache, verliert der Protagonist, ein recht bekannter Journalist, mitten in einer Redaktionskonferenz die Fähigkeit, seine eigenen Notizen zu lesen. In dieser psychischen Krise ist alles nur noch unleserliches Gekritzel, er verliert vorübergehend seine Schriftlesefähigkeit. Nach einer intensiven Analyse seiner Probleme, die in einem ausführlichen Artikel zur Dysfunktionalität der Sprache für seinen Arbeitgeber münden soll, formuliert die Hauptfigur spannende Theorien: Die menschliche Sprache ist kaputt, sie funktioniert nicht, um etwas zu kommunizieren, denn der Sender übermittelt nicht das, was er meint, und der Empfänger versteht deshalb das Gesagte nicht. Sprache übermittelt eigentlich überhaupt nichts, sondern ruft nur durch Triggerwörter die eigene gespeicherte Erlebniswelt ab. All diese Unzulänglichkeiten führen deshalb zwangsläufig zu Missverständnissen, Streit und Krieg.  Selbstverständlich werden die vom Laien formulierten Thesen auch mit einigen anerkannten Sprachwissenschaftlern in Form von persönlich geführten Interviews verifiziert.

„Es war doch sonnenklar: Konflikte eskalierten, weil die richtigen Worte nicht gefunden wurden und keiner wusste, dass es die gesuchten Wörter gar nicht gab. Kriege brachen aus, nicht weil die Menschen so gerne Kriege führten, sondern weil die Sprach-Kommunikation nicht ausreichte, sie zu verhindern.“

Sehr gewagte Hypothesen stellt er im Zuge seiner Recherchen und Analysen auf, die manchmal ziemlich surreal und skurril erscheinen, aber so gut logisch argumentiert sind, dass es eine Freude ist. Deshalb habe ich eingangs auch das Rabbit Hole von Alice im Wunderland erwähnt, denn in der Welt des Protagonisten ist vieles anders, so wie im Reich der Herzkönigin, aber in sich einfach alles schlüssig und zwangsläufig so konstruiert. Genauso wie man ein ganzes mathematisches System auf der Prämisse, dass 1+1=5 ist, aufbauen kann, präsentiert sich auch hier die Parallelwelt in sich geschlossen.

Der Inhalt des Romans klingt jetzt zwar intellektuell reichlich anstrengend und nicht unbedingt sehr vergnüglich, es ist aber dennoch höchst amüsant, dem Autor beim Gestalten seines alternativen Sprachuniversums zuzusehen, gerade deshalb, weil alles so logisch konzipiert und grandios formuliert ist und zudem auch nicht mit herrlichem Sprachwitz gegeizt wurde. Wenn mein Buch ausschaut wie ein mit Post-Its gespickter Käse-Igel, dann sind die Zitate sowohl zahlreich, als auch so gut, dass sie dokumentiert werden müssen.

Ein kleines Beispiel möchte ich dazu anführen, als sich der Journalist auf Quellensuche begibt. Ich brach fast zusammen, denn so kann man den allseits geschätzten Sigmund Freud natürlich auch unfreundlich beschreiben und das ist nicht mal eine Diffamierung, sondern auch irgendwie wahr:

„… und Freud dieser narzisstische schwanzgesteuerte Traumtänzer hat Reich verunglimpft.“

Auch die Literatur und die Lyrik bekommen im sprachkaputten Paralleluniversum ihr Fett weg:

„Literatur versuche sich am Unbeschreiblichen, schreibe gegen die Grenzen der Sprache an. Literatur sei die Not des Nichtausdrückbaren. Sie versuche die Behebung dieser Not. Literatur sei die Kunstfertigkeit im Umgang mit dem untauglichen Werkzeug, sie sei die Folge der Kaputtheit der Sprache. Literatur sei ein Selbstheilungsversuch. […]

Das war die Sprache der sogenannten Reim-Kunst, der eingebildetsten Kunst der Sprachverbiegung und Sprachvernichtung überhaupt. Vergehend vor eigener Größe und mit ausladendem Pathos redete sie den reinsten Stumpfsinn. […] und brachte nichts als stumpfsinniges Wortgeklingel hervor, rhythmische Nichtssagerei, deren Wörter an den Zeilen-Enden phonetisch ineinander klappten und Interessantheit suggerierten, wo doch nur kindisches Kunststück war.“

Auf der Suche nach der Bestätigung der zentralen Hypothese forscht der Protagonist auch in der Familie, in seiner Vergangenheit und im Beruf. Zuerst beschreibt er grandios den Spracherwerb seiner Nichte als Baby ganz genau, dann wird seine Kindheit erörtert. Wie der Buchtitel Abara da Kabar als Anagramm zu Abrakadabra irrtümlich zustande gekommen ist und wie dieses falsch ausgesprochene Wort in ihm letztendlich die Liebe zur Sprache und zu Wortkreationen geweckt hat. Dann setzt er sich in seiner Rolle als Journalist mit der derzeit unsäglichen Zusammenarbeit von Politik und Medien und dem Einsatz der Sprache als Propaganda auseinander. All diese Nebengeschichten haben eines gemeinsam, der Autor verliert dabei nie das Kernthema Sprache und deren Manipulation aus den Augen. All dies stützt durch viele Analysen, Betrachtungen von Standpunkten, Sammeln von Belegen, das gesamte Gedankengebäude, das er aufgestellt hat und wurde dadurch für mich nie langweilig oder abschweifend, weil der Autor immer zum zentralen Kern der Geschichte zurückkommt.

Im zweiten Teil gibt das vom Autor konzipierte schräge Universum noch einmal wahnwitzig Vollgas und präsentiert sich total verrückt, zwar wieder schlüssig und extrem konsequent in seiner Durchgeknalltheit, aber total Balla Balla. Der Journalist verzweifelt an der Unzulänglichkeit der Sprache, kündigt seinen Job, fährt in die Sahara und fragt bei einem befreundeten französischen Arzt, der in den Kriegswirren dort hängengeblieben ist und der sich mit Traumatisierten beschäftigt, um eine Art traditionelle Lobotomie ähnlich wie bei Rose Kennedy an, um das Sprachzentrum von seinem Gehirn abzukoppeln. Hin und wieder habe ich mich schon gefragt, warum er sich so drastisch lobotomieren lassen muss, wenn er Sprache weder sprechen noch denken will. Geht das nicht auch mit fernöstlicher Meditation und dem großen Nirwana? Oder ist ihm das zu mühsam, diese Technik langwierig zu erlernen, deshalb muss das westlich schnipp-schnapp sofort funktionieren. Mehrmals wird der Protagonist von seinem guten Freund gefragt, ob er diese Operation wirklich ernst meint, dann wird mit höchst primitiven Mitteln alles für den Tag X vorbereitet.

Lediglich am Schluss des Romans habe ich eine Kleinigkeit zu meckern, er verpufft einfach völlig und es passiert gar nix. Oder vielleicht habe ich da eine Figurenentwicklung dann einfach nicht richtig verstanden.

Fazit: Ein großartiger, intellektuell anspruchsvoller, kurzweiliger Roman, mit höchst kuriosem Plot, der genial formuliert ist, teilweise furchtbar und teilweise witzig-bissig daherkommt. Man muss sich aber auf das sehr aberwitzige Gedankengebäude einlassen können. Nicht für alle geeignet, aber für jene, die so abgefahrene Geschichten mögen, ist das Buch grandios.

P.S.: Eines muss ich auch noch anmerken und hoffe, ich beleidige niemanden. Ich hätte einem kleinen, regionalen österreichischen, respektive Salzburger Verlag so einen Roman überhaupt nicht zugetraut. Hut ab vor dem Mut, so eine Geschichte abseits des gewohnten regionalen Verlagsprogramms zu veröffentlichen. Weiter so!

 

Abara da Kabar, Emil Bobi, Scrabble und Cover, Idee und Bild (c) Alexandra Wögerbauer-Flicker - kekinwien.at

Abara da Kabar, Emil Bobi, Scrabble und Cover, Idee und Bild (c) Alexandra Wögerbauer-Flicker – kekinwien.at

 

 

Abara da Kabar, Emil Bobi

Buchdetails

  • Aktuelle Ausgabe
  • ISBN: 9783702510152
  • Sprache: Deutsch
  • Ausgabe: Fester Einband
  • Umfang: 368 Seiten
  • Verlag: Verlag Anton Pustet Salzburg
  • Erscheinungsdatum: 17. Februar 2021
  • gesehen um Euro 24,00

(Beitragsbild: Collage zum Roman ‚Abara da Kabar‘ von Emil Bobi, Bild (c) Alexandra Wögerbauer-Flicker – kekinwien.at)

Dein Kommentar

keke Spam-Abwehr: *