Wie schön wir waren, Imbolo Mbue

Schluss mit Hakuna Matata 

Eine aufwühlende Geschichte, wie der Westen und große Konzerne gleich den alten Kolonialherren und Sklavenhaltern mit afrikanischen Dörfern und der indigenen Bevölkerung umgehen, die nur in Frieden auf ihrem eigenen Land leben wollen. Im Roman Wie schön wir waren von Imbolo Mbue kann man ziemlich unvermittelt erleben, was einem kleinen Dorf in Kenia blüht, wenn ein amerikanischer Ölkonzern in der Gegend auf das schwarze Gold gestoßen ist und die Gier nach Petrodollars jegliche Humanität, Menschenrechte und internationale Gesetze in den Hintergrund drängt.
Als Co-Täter fungiert natürlich ein korruptes Regime, das dem Konzern das Land des Dorfes zur freien Nutzung gegen Beteiligung vermacht hat, Land, über das die Regierung eigentlich gar nicht verfügen darf. Diese unheilige Allianz aus Großkapital und afrikanischer Diktatur im Gewand einer vordemokratischen rechtsstaatlichen Regierung schiebt sich permanent gegenseitig die Verantwortung für die Beseitigung der eklatanten lebensbedrohlichen Missstände zu und lässt die verzweifelten Dorfbewohner in einem frustrierenden Ping-Pong Spiel ständig auflaufen.

Die Autorin hat zudem einen interessanten stilistischen Kniff angewandt, indem sie die gesamte Geschichte aus der Sicht der Bewohner des Dorfes Kosawa erzählen lässt. Dies offenbart zu Beginn der Story die riesengroße Naivität dieser Menschen, die wenig mit der Bevölkerung außerhalb ihres Dorfes zu tun hatten, anfangs noch völlig unverdorben an das Gute im Menschen glauben und dadurch ihren Gegnern, für deren ganzes Handeln nur der eigene Gewinn zählt und die als Kollateralschaden die Vernichtung von vielen Menschenleben achselzuckend in Kauf nehmen, haushoch unterlegen sind. Nach und nach entwickelt sich im Dorf massiver Widerstand und auch eine gewisse Abgebrühtheit, eigene Strategien im Kampf ums nackte Überleben zu finden und diese anzuwenden.

Die erste Szene startet schon einmal genial. Die Kinder von Kosawa sind krank und sterben wie die Fliegen, weil von den lecken Pipelines Öl auf die Felder und ins Grundwasser rinnt. Zudem ist der Fluss vergiftet, weil das nahe des Dorfes gelegene Arbeitercamp der US-Bohrfirma Pexton den Müll der Förderfirma einfach ins Wasser kippt, die Luft kann auch nicht mehr geatmet werden, weil man der Einfachheit halber das ausgelaufene Öl anzündet und die Rauchschwaden nach Kosawa ziehen. Die Dorfältesten verlangen vom großen amerikanischen Ölkonzern Pexton sauberes Wasser und die Beseitigung der Umweltschäden. Von der Firma kommen jedoch nur Ausflüchte und Beschwichtigungen, aber kein sauberes Wasser. Einerseits wird auf die Zuständigkeit der korrupten Regierung für die Beseitigung von Umweltschäden und Wasserlieferungen verwiesen, andererseits wird natürlich höflich mit den Eingeborenen diskutiert, nachdem eine Dorfdelegation beim Vortragen ihrer Anliegen in der Hauptstadt verschwunden ist und ziemlich sicher von der Regierung ermordet wurde. Der Manager von Pexton wäscht gleich Pontius Pilatus seine Hände in Unschuld und verweist wie im oben angesprochenen Ping Pong-Spiel wieder auf die Zuständigkeit der brutalen Regierung. Nicht mal sauberes Wasser in Flaschen für die Babys können (wollen) sie liefern, während die Kinder massenweise wegsterben. Bei einem dieser Hinhaltungs-Meetings reißt dem Dorfirren der Geduldsfaden, er stiehlt den Autoschlüssel der Firmenvertreter und nimmt sie als Geiseln, herrlich. Dieser begonnene Kampf wird Jahrzehnte andauern und viele Tränen und Opfer fordern. Es ist, als ob eine kleine afrikanische Maus namens David zu brüllen beginnt und Goliath in Gestalt von Pexton und einer korrupten Regierung herausfordert. Wie solche ungleichen Kämpfe ausgehen, ist ungewiss, lehrt uns zumindest die Bibel in Kombination mit unseren eigenen Erfahrungen.

Nach dem Kidnapping passiert zunächst nicht viel. Zwei Soldaten suchen die US-Firmen-Delegation, aber das Dorf kann glaubhaft versichern, dass sie weitergefahren sind. Indes werden die Gefangenen bedrängt, Kosawa zu helfen. Es ist wirklich herzzerreißend, wie naiv die Dörfler sind und den abgebrühten Pexton Manager versuchen, dazu zu bringen, ihr Leid zu sehen, anzuerkennen und die Probleme zu lösen. Plötzlich zeichnet sich wirklich eine Lösung ab, die auf einem Tipp des todkranken Chauffeurs der Firmenvertreter beruht, denn Bongo, der Vater von Thula und zwei seiner Freunde suchen einen US-Journalisten in der Hauptstadt Bezam auf, der in amerikanischen Zeitungen die Geschichte von der Zerstörung des Dorfes erzählen soll.

Als die Regierung in Bezam und Pexton mit dem veritablen Skandal, den der Artikel in Amerika ausgelöst hat, konfrontiert werden, schlagen sie zurück, Soldaten veranstalten im Dorf ein Massaker, dem ein Großteil der jungen männlichen Bevölkerung zum Opfer fällt. Auch wenn das Massaker weltweit Proteste nach sich gezogen hat, passiert in Kosawa ansonsten relativ wenig zur Beseitigung der Missstände bis auf den Umstand, dass sich zumindest die Aktion Wiederaufbau aus Amerika um die Schulbildung der überlebenden Kinder kümmern will. Zudem möchte diese Non-Profit-Organisation auch Prozesse vor US-Gerichten anstrengen. Die Bewohner von Kosawa trocknen ihre Tränen über all die von der Regierung Ermordeten und die durch das Öl noch immer sterbenden Kinder, lassen sich erneut vertrösten und warten geduldig ab, dass sie irgendwann mit fairem Spiel nach den Regeln der Amerikaner Gerechtigkeit erlangen.

Neben der Geschichte des gesamten Dorfes wird vor allem das Schicksal von Bongos Familie beleuchtet. Bongo wurde ermordet, sein Bruder hingerichtet, die Frau und die Mutter Bongos sind in tiefster Trauer. Seine Tochter Thula stellt sich als intelligentestes Kind des Dorfes heraus, und aus diesem Grund wird ihr von der Non-Profit Organisation ein Studium in Amerika ermöglicht. Getrieben vom Wunsch, Sühne für die Toten der Familie und für die des Dorfes zu erlangen, beginnt Thula nun als Vertreterin der nächsten Generation und Gallionsfigur erneut den Kampf gegen den Ölkonzern, beziehungsweise die Regierung und widmet ihr ganzes Leben dem Streben nach Gerechtigkeit und der Erhaltung des Dorfes. Bei diesem Vorhaben helfen ihr natürlich nun ihre Ausbildung und ihre guten internationalen Kontakte. Auch die Männer Kosawas in Thulas Alter kommen in der Geschichte zu Wort, werden selbst aktiv und beginnen irgendwann einen bewaffneten Guerillakampf. Das Ende der Geschichte werde ich selbstverständlich hier nicht verraten.

Durch die unterschiedlichen Sichtweisen der Dorfbewohner, die in den einzelnen Szenen fast alle zu Wort kommen, werden sowohl verschiedene Ansichten thematisiert, als auch die Gelegenheit genutzt, Hintergründe aus der Vergangenheit aufzudecken. Das Setting und der Plot der Geschichte sind grandios, dennoch wird der Roman bei mir nicht die Bestbewertung absahnen, weil sich die Autorin bei ihrem Studium auf der Columbia Universität offensichtlich jene amerikanische literarische Unart angewohnt hat, die mich immer sehr nervt. Dieses typische episch breite herumschwadronieren, und die Geschwätzigkeit, die in der US-Literatur so en vogue sind, kann ich persönlich überhaupt nicht leiden. 100 Seiten weniger und straffer hätten den Plot spannender, rasanter und ein Meisterwerk aus dem Roman gemacht.

Fazit: Sehr lesenswert! Trotz der kleinen Längen.

 

Zapfhahn auf Buch, Installation zum Roman wie schön wir waren, Bild (c) Alexandra Wögerbauer-Flicker

Zapfhahn auf Buch, Installation zum Roman wie schön wir waren, Bild (c) Alexandra Wögerbauer-Flicker – kekinwien.at

 

Wie schön wir waren

Imbolo Mbue

 

Buchdetails

  • Aktuelle Ausgabe
  • ISBN: 9783462054705
  • Sprache: Deutsch
  • Ausgabe: Fester Einband
  • Umfang: 448 Seiten
  • Verlag: Kiepenheuer & Witsch
  • Erscheinungsdatum: 7. Oktober 2021
  • gesehen um Euro 23,90

(Beitragsbild: Buch auf Zapfsäule, Installation zum Roman „Wie schön wir waren“ vom Imbolo Mbue, Bild (c) Alexandra Wögerbauer-Flicker – kekinwien.at)

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