La Grande Bellezza, FilmplakatJetzt ist es ohnehin zu spät?
Das ‘dolce fa niente’ scheint nicht mehr so richtig zu funktionieren, mit zunehmendem Alter.
Schmeckt man plötzlich das hohle Nichts und hadert mit den verpassten Gelegenheiten, fürchtet die Leere, Stille und Einsamkeit? War der eine Sommertag am Meer die letzte Möglichkeit auf dem richtigen Weg zu bleiben?
Ist es der richtige Weg, die ‘große Schönheit’ zu suchen?
Der Film La Grande Bellezza, der so überaus leicht daher kommt, stellt Fragen.

Rom ist ‘La Grande Bellezza’.
Diese Schönheit ist gewachsen. Und sie zeigt, manche Städte werden immer schöner und besser, je länger sie sich entwickeln dürfen. Nur Städte?
Der Film von Paolo Sorrentino (Jahrgang 1970) handelt weniger von einer alten Stadt als von einem älteren Herrn.
Der elegante Partylöwe Jep Gambardella hat sich gut gehalten. Wenn wir nach einem kurzen Vorspann über die Absurditäten der Rom-Touristen ins eigentliche Geschehen einsteigen, feiert Jep gerade eine wilde Party zu seinem 65. Geburtstag. ‘Ragazzi’ jeden Alters entblößen sich und kreischen, alleine, zu zweit, zu dritt, neben- und hintereinander, im Gleichschritt oder Takt oder nur für sich, ganz selbstverliebt. Es ist heiß, unerträglich heiß!
‘Wie gemacht’ für den Film sind diese Bilder, bunt und bewegt, exzentrisch wie exstatisch.

Nichts zu merken von Ruhe-Stand, denn Jeps Profession ist die, eine Person der Gesellschaft zu sein, mehr, denn er ist ‘il Re’ – ihr König.
In seiner Jugend hat er einmal ein Buch geschrieben, seither reicht sein künstlerisches Durchhaltevermögen nur mehr zum gelegentlichen, aber gewitzten Klatschreporter.

Jep lässt vor allem gerne feiern, das ist sein Bestreben. Dann will er der sein, der aus der Menge heraustritt, heraustreten kann – wenn er will, sieht und hört man ihm zu. Für solche Auftritte ist im jeder Anlass Recht, ob Party oder Begräbnis.
Jep sieht sich gerne als den Sensiblen, darum ist er Künstler geworden, auch wenn er keiner mehr ist. Der König ist sein eigener Narr, der seinen Freunden die Wahrheit über ihr Leben ins Gesicht sagt, so rücksichtslos, wie er die Interviews mit den VIPs abfasst.
Was ihn selbst betrifft, ist er ohne Illusionen. Er glaubt nicht, dass an ihm ein großer Schriftsteller verloren gegangen ist, noch, dass er etwas Besseres ist als sein durchwegs gelangweiltes, reiches Umfeld. Die gealterte Schickeria ist enttäuscht vom Leben, von Rom.

Die Dekadenz lebt immer gerne in den Metropolen. Vielleicht treibt sie Rom besonders auf die Spitze, vielleicht, weil gleichzeitig das Leben dort ganz besonders normal sein kann.
Selbst die Gottesdiener_innen werden bei Sorrentino Teil der mondänen Welt, und es ist ‘teuflisch’, wenn der Kardinal nur übers Kochen reden will.
Durchgehend große Schauspielkunst!

Rom ist mehr Metapher als Kulisse, oder ist diese Geschichte eine Metapher für Rom?

Eine große Schönheit hat Falten. Dass sie sich die von einem widrigen, selbstherrlichen Arzt aufspritzen lässt, macht sie nicht gerade sympathisch, aber für solche kleinen Fehler liebt sie mancher vielleicht noch mehr.
Mit dem Alter steht einem plötzlich ein Licht mehr als ein anderes, das einen faltig, fahl und leer erscheinen lässt.
In Rom ist zu einer bestimmten Tageszeit eine Straße vom Sonnenlicht beleuchtet und belebt, und eine bestimmte Bar dort scheint der schönste Ort der Welt, der zu allem verführen könnte. Zu anderer Zeit läuft man achtlos daran vorbei, so unscheinbar wirkt der Ort.
So gibt es für alles zwei Blickpunkte, am besten man ist spontan um die Gelegenheiten zu nutzen.

Nur mehr in tiefster Nacht und zur frühsten Morgenstunde ist Rom überall ‘una città meravigliosa’, ohne die Touristen, denen sie ausgeliefert ist.
Dann mäandert die Kamera in ‘La Grande Bellezza’ ziellos träge durch die Stadt, wie der Tiber, eine Aneinanderreihung von Szenerien, so schön, wie wir sie live nie zu sehen bekommen werden.
Liegt in dieser Schönheit für Sorrentino ‘der große Sinn’?
Die magische Momente nehmen im Verlauf des Films zu und der Sex tritt in den Hintergrund.

Jeps Freunde seines Alters, der Magier und der Zuhälter, die noch arbeiten müssen, finden, sie haben in ihrem Leben etwas falsch gemacht. Dabei hat man bei seinen anderen Freunden dieses Gefühl viel mehr, aber ihnen fällt es schwerer, sich die Fehler einzugestehen. Die Selbstverliebtheit, die Fixierung auf die eine große Liebe, die sich nicht erfüllen konnte …

Wirft manche Kritik ‘La Grande Bellezza’ vor, all zu ‘fellinesk’ oder nur ‘blabla’ zu sein, sei erwähnt, dass gerade das italienische Kino dem Nachahmen Fellinis grotesker Filmsprache nie abgeneigt war und eine Satire davon lebt, dass sie ihr Opfer überspitzt zeigt.

‚La Grande Bellezza‘ ist zumindest große Unterhaltung, der (!) ganz große Film ist es nicht.

Bei Jep hinterlässt das Schicksal einer verstorbenen Geliebten und einer, die seine Geliebte hätte sein können – so scheint es – doch keine Spuren. Am Ende tanzt er just mit der Frau, der er vor allen vorgehalten hat in der großen Lüge zu leben – das passt zu ihm.

Jetzt ist es ohnehin fast zu spät.
Denn ‘La Grande Bellezza’ ist im regulären Kinoprogramm bald abgespielt.
Also vielleicht doch Sorrentinos Inspiration Fellinis ‘8 1/2’ ansehen oder selber nach Rom reisen.

 


La Grande Bellezza
2013, I/F, 142min
Drehbuch und Regie: Paolo Sorrentino
Darsteller: Toni Servillo, Carlo Verdone, Sabrina Ferilli, Carlo Buccirosso, Iaia Forte u.a.
website: http://www.lagrandebellezza.de
FSK 12 JahreDer Film läuft seit Juni in unseren Kinos und immer noch im De France.
außergewöhnlich

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2 comments

  1. mischa reska

    Die Bezüge zwischen ‚8 1/2‘ und ‚La grande Bellezza‘ aus zu machen ist wirklich lohnen – dabei kommen Personen, Szenen, Gefühle etc. doch ganz anders ‚daher‘. Unendlicher Stoff um sich damit auseinander zu setzen – für Filmfanatiker des Genres.
    Aber da – in den zwei kurzen Szenen in denen die dunkelhäutige Tänzerin Auftritt – auch die Musik, das ist doch William Kentridge! Hat ihn wohl so beeindruckt dass er es zitiert hat und letztlich ist ein halbes Theaterstück draus geworden.

    • club

      schön gesagt. ich warte ja immer noch auf ein paar stille stunden, um endlich diesen film zu sehen…obwohl, die bilder im kopf beim lesen des artikels sind wunderbar!