Filme, die einen anders schauen machen, nach denen man die Welt
einige Zeit mit anderen Augen wahrnimmt, sind die, die ich schätze.
Headshots ist so ein Film.

Und allen, die sich so etwas eventuell nicht zutrauen, sei es gleich am Anfang verraten:
Headshots ist ein schwieriger Film.

Kek empfiehlt ihn für: Fotografen, Models, Schauspieler, Kreative, Hinschauer und Nachdenker.

Es wird in diesem Erstling von Lawrence Tooley nichts aneinandergefügt, schon gar nicht in chronologischer Logik, sondern auseinander gezerrt. Die Hauptfigur Marianne, eine Berliner Szenefotografin, lässt uns mit ihr zwischen den Bildern und Tönen suchen, wir geraten durch
das experimentell filmische Handwerk mitten hinein in ihre Suche nach neuer Orientierung.

Keine geringeren Probleme werden verhandelt als die, die jeden treffen können: Sinnlosigkeit
im Beruf; das Gefühl mit den falschen Menschen zu sein. Und schon scheint man selbst in der Oberflächlichkeitsschleife gefangen, nicht mehr wissend, was man fühlt oder fühlen soll…

Marianne wird schwanger und sucht nach Ihrer eigenen Kindheit. Sie kann ihre Beziehungen
nicht aufrecht erhalten, nimmt keine Jobs mehr an und beginnt durch Berlin zu flanieren um
dabei Unbekannte zu fotografieren. So wie sie sich fragt, was in ihnen vorgehen könnte,
beginnt sie die Welt um sich zu hinterfragen. Dabei ist Marianne eine selbstbewusste, intelligente, begabte, ‚mit dem Ego eines Mannes ausgestattete’ (Loretta Pflaum) junge Frau. Ihr Vater,
der am Ende auftaucht, fügt noch ‘schön’ hinzu. Das ist heute wohl wichtig, besonders in der Modeszene.

Dass der Film in Berlin spielt, im Umfeld der ‘kreativen Szene’, ist für den Film hingegen nicht wirklich von Bedeutung, wie auch die Welt der Mode selbst, die nur am Rande gezeigt wird.
Dieser Bezug bringt uns aber überraschende, schöne Kleider, wie einen Mantel, der seit einem Tatort von 2001 auf ungewöhnliche Weise gewachsen ist, ebenso wie seine Trägerin Loretta Pflaum.

Man kann Mariannes aufkeimendes Bestreben nicht mehr mitzuspielen, sich nicht mehr anzupassen an die Erfolgreichen statt als existenzielle Krise, die sie vom Weg abkommen lässt, auch als Weg einer Unzufriedenen mit künstlerischer Energie sehen.

Beeindruckend auch die Kamera von Emre Erken, die gerne mit dem Licht spielt. Licht in der Dunkelheit ist dort, wo keine Menschen sind, aber gerade noch gewesen sein könnten:
in einem Restaurant, vor den Schaufenstern, auf der Straße.
Menschenleere und die Abwesenheit von Mutter und Vater, die immer wieder thematisiert wird, auch die Schwierigkeit jemand zu finden, um zu reden.
Aber das Thema ist hier nicht die Einsamkeit, sondern vielmehr die Ich-Suche.

In diesem Film braucht man nicht zu lachen, außer man erträgt sonst seine Ernsthaftigkeit nicht.
Ist es etwa lustig, wenn man der Frau eines Freundes vorgestellt wird und sie bellt einen an?
So etwas passiert einem doch oft – wenn man es merken will.
Insgesamt gelingt der gebürtigen Österreicherin Loretta Pflaum und dem aus Amerika stammende Lawrence Tooley in realistischen Porträts (Headshots) eine differenzierte Milieustudie, technisch und
thematisch ein Kontrapunkt zum Mainstream Kino, völlig unabhängig und ohne jegliche Förderung produziert.

 

Headshots

‎2010, D/A, 92 min
Drehbuch: Loretta Pflaum, Lawrence Tooley
Regie: Lawrence Tooley
mit Loretta Pflaum, Samuel Finzi, Jeremy Xido, Karl-Heinz Hackl, u.a
FSK fehlt leider
zu sehen im Verleih des Stadtkinos: http://mubi.com/films/headshots

 

 

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