UPDATE September 2019

Leider hat das menschenfreundliche Konzept nicht für ein langes Wirtshausleben gereicht.
Das schöne Lokal bliebt aber erhalten und soll unter einem neuen Besitzer zu einem Steakhaus werden, wie man hört.

Ja, das tut er, und wie!
Gustl kocht. 
Ein ganz besonderes Gasthaus in 1030.

Früher war hier das Bezirkskino bis etwa 1960, dann eine Putzerei und eine Hutmacherei. Christoph Liebscher wurde auf den Leerstand aufmerksam und machte ein überaus hochwertig ausgestattetes Wirtshaus draus. Den Niveauunterschied von Kinosaal merkt man übrigens noch. Bei der Eröffnung im  August letzten Jahres ist ja allerhand viel geschrieben worden, weil sozialer Aspekt, gut tauglich für Familien und schon wieder einer der auszog, um ein Gastronom zu werden. Wir hatten unlängst das Vergnügen mit dem Chef zu essen und zu plaudern.

Gediegen mit Esprit.

Als der Neowirt vierzehn Jahre alt war, hatte seine Mutter damals keine Lust mehr Weihnachtskekse zu backen, da übernahm der Sohn dies kurzerhand – und ab dann alles Süße. Das war der Grundstein und später die vielen beruflichen Reisen in die Balkanstaaten. Das Kaffeehaus und das Gasthaus waren ihm Orte zum Lernen und später zum Arbeiten. Vermutlich hat man die Liebe zur Gastronomie in den Genen. Der Rechtsanwalt bezeichnet sich allerdings selbst nicht so, sondern als „Berufsgast“. Nach der ursprünglichen Karriere war die Idee ein eigenes Gasthaus zu haben irgendwann „nicht mehr bremsbar“. Die Innenarchitektur stammt auch aus der Feder des Umtriebigen. „Ich wollte die Vision umsetzen von den Gefühl, das ich haben möchte, wenn ich drinnen sitze, ein Wohlfühlen, Geborgenheit.“

Gustl kocht, Foto (c) Andrea Pickl - kekinwien.at

Der Kinderbereich vom Gustl kocht hat etwas Paradiesisches.

Ich kann mich noch daran erinnern, als meine beiden Söhne Kleinkinder beziehungsweise Babies waren. In Ruhe zu essen war der pure Luxus und extrem selten. Hier gelingt das garantiert! Für die Krabbelkinder existiert ein sicherer, gut einsehbarer Bereich und für die Größeren eine Spielwelt mit Malwand und Kletterturm, alles aus Holz, perfekt, sehr schön und vom TÜV überprüft. Maria Montessori hätte ihre Freude gehabt!

Dass der Wirt auch ein Sammler ist, merkt man an den Pappmachémasken aus Venedig im Stiegenabgang zu den Nassräumen und Vereinsräumen im Untergeschoss. Dort findet sich auch gar nicht martialische Zinnfiguren in den Vitrinen vor. Wohin man schaut: Qualität und Achtsamkeit.

In der Küche lässt man dieselbe hohe Sorgfalt walten wie bei allem anderen. Der Betrieb ist voll bio-zertifizert und arbeitet transparent: Man kann aller Hersteller in der Karte nachlesen. Slow Food wird hier groß geschrieben. Aber es gibt eine Ausnahme! Das Pilsner Urquell vom Fass. Das musste einfach sein. Ansonsten viele autochtone Weine aus Österreich und von den Nachbarn, Bier aus kleinen Brauereien (Gusswerk, Hofstettner, Weitra Bräu). Man kann fast froh sein, dass es das alles auf dem Markt gibt, denn sonst würde das die Mannschaft vom Gustl wohl auch noch selber machen so wie das Ketchup, alle Mehlspeisen und Torten und das Brot. Den wunderschönen Ofen sollte man sich ansehen.

Gustl kocht, Foto (c) Andrea Pickl - kekinwien.at

Gustl kocht, Foto (c) Andrea Pickl - kekinwien.at

Die Speisekarte (mit Abendkarte ab 17.00Uhr) bespielt ausgehend von Österreich die ehemaligen Kronländer und geht noch ein wenig weiter gen Osten: ungarisch, bulgarisch, polnisch, ukrainisch, russisch, nord-italienisch, ukrainischer. Ambitioniert. Ein nicht so weit gereister Gaumen kommt fast in einen Entscheidungsnotstand. Es entsteht ein wenig der Eindruck, als würde man sich ein wenig „zersprageln“ vor lauter Eifer. Wir hatten:

  • Polnische Zwetschken auf Mangalitzaschmalzbrot um Euro 6,30. Sehr gut, obwohl ich mir das Schmalz nicht ins Schwarzbrot hineingeschmolzen vorgestellt hatte. Ein schwergewichtiger Opener, aber für die Wahl des Gastes kann der Wirt ja nichts.
  • Sellericremesuppe im Rahmen des Menüs: nicht sämig und cremig, wie man sie sonst bekommt, aber auch nicht pampig oder mehlig. Solide.
  • Lasagne, auch im Mittagsmenu. Sehr gut und zu viel des Guten.
  • Pierogi mit Kraut-Zwetschken-Fülle, abgebraten mit Pilzen um Euro 10,80. Sehr erfreulich, aber auch hier eine beeindruckend große Portion.

Liest man andere Beprechngen über den Gustl, erkennt man, dass die richtige Menge für alle Esser zu finden, sehr schwierig ist. Manch einer beschwerte sich über winzige Portionen, wir als gar nicht schwache Esserinnen haben’s jedenfalls zu viel gefunden.

Die Frühstückskarte gilt bis 11.30 Uhr und bietet Spannendes wie Hausbrot oder Borodinskij Brot mit Chrzan – polnischer Aufstrich aus gekochten Eiern, Sauerrahm und Kren um Euro 3,40 oder die beiden großen Packages (Gustl oder Prager um Euro 13,90 aus Apfel-Zwiebelschmalz, Mandel-Petersilpesto, Paradeiseraufstrich, sauer eingelegtes Kraut, Rüben und Wurzeln, Erdäpfel-Gröstl, Paprikasalami, gegrillte Cherryparadeiser, selbst geröstete Salzmandeln, Granola mit Mandelmilch, gebratener Apfel mit Zimt und getrockneten Preiselbeeren, Mohnblinis mit Saisonfrüchten, zweierlei hausgemachte Marmelade, hausgemachtes Borodinskij Brot und Hausbrot, Margarine, Kaffee, Trinkschokolade oder Tee, 1/8 l Regent Traubensaft). Da lohnt es sich früh genug aufzustehen.

Das Team ist bunt gemischt und wurde mit Hilfe von AMS, Jugend am Werk, Caritas und Stadt Wien zusammengestellt. Es funktioniert nach dem Prinzip „Hier ist Platz für alle“ und das Wohl der Mitarbeiter wird hier hoch gehalten. Das merkt man, das Service ist aufmerksam und freundlich.

„Stammgäste sind essentiell.“, sagt Christoph Liebscher im Interview, denn schließlich kocht der Gustl nicht nur aus purer Leidenschaft, sondern das Wirtshaus soll ja auch etwas abwerfen, die Arbeitsplätze sicher bleiben. Es möge zur Institution werden, dass Gustl kocht. Alle Voraussetzungen dafür sind geschaffen.

Gustl kocht, Foto (c) Andrea Pickl - kekinwien.at

Gustl kocht, Foto (c) Andrea Pickl - kekinwien.at

 

Gustl kocht
Erdbergstraße21, 1030 Wien
Tel.: +43 1 712 01 51
web: www.gustl-kocht.at
Öffnungszeiten: täglich 8.00 – 24.00 Uhr

Zwei Mittagsmenüs zur Auswahl um jeweils Euro 7,90 für zwei Gänge, plus Euro1,50 für den dritten Gang
Gasträume für 85 Personen, Schanigarten für 45, ein Veranstaltungsraum folgt
Take Away (Man kann sein eigenes Geschirr mitbringen. Der Gustl ist ein „kunststoffarmes Unternehmen.)
Koch: Alexander Verzi
Geschäftsführer: Robert Sulzer

Das Unternehmen wurde 2018 von der Stadt Wien mit dem Gütesiegel in Gold ausgezeichnet. Man erhält es, wenn über 90 % der verwendeten Zutaten Bio-Qualität haben.

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